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16. Symposion 2007 in Frankfurt

Prof. Dr. Jochen Taupitz - Aktuelle Tendenzen der Gesetzgebung zur Patientenverfügung

Vortrag anlässlich des 16. Symposions in Frankfurt

 

I. Einleitung

Seit Jahren wird über die Frage gestritten, innerhalb welcher Grenzen und wie verbindlich jemand über sein eigenes Schicksal an der Grenze zwischen Leben und Tod soll bestimmen dürfen. Zunehmend in den Vordergrund getreten ist dabei die Frage nach der Verbindlichkeit von Vorausverfügungen, durch die jemand vorsorglich in ?guten Tagen? für die Zukunft festlegen möchte, in welchem Ausmaß eine medizinische Behandlung erlaubt sein soll, über deren Durchführung in der konkreten Situation (z. B. wegen Bewußtlosigkeit oder Demenz) keine selbstbestimmte Entscheidung mehr möglich ist. Zu Recht hat sich für diese Art der Vorausverfügung der Begriff ?Patientenverfügung? durchgesetzt.

 

II. Gremienempfehlungen der vergangenen Jahre

Zu den angesprochenen Fragen wurde in den vergangenen Jahren eine Fülle von Stellungnahmen und Empfehlungen verschiedenster Institutionen veröffentlicht. Genannt seien

- die Beschlüsse des 63. Deutschen Juristentages 2000 zum Thema ?Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?? (Gutachter: Taupitz),

- der Bericht ?Sterbehilfe und Sterbebegleitung? der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz vom 23.4.2004,

- der Zwischenbericht der Enquête-Kommission ?Ethik und Recht der modernen Medizin? des Deutschen Bundestages vom 13.9.2004[1],

- der (Arbeits-)Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 1.11.2004 des Bundesministeriums für Justiz (nach Vorarbeiten einer vom Bundesministerium für Justiz und vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit eingesetzten und vom Vorsitzenden Richter am BGH a. D. Klaus Kutzer geleiteten Arbeitsgruppe), der allerdings später nicht weiterverfolgt wurde, weil dem Parlament die Initiative überlassen werden sollte,

- die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates ?Patientenverfügung? von 2005,

- die Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentages 2006 zum Thema ?Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung? (Gutachter: Verrel).

 

III. Der aktuelle parlamentarische Diskussionsprozess

Die Fraktionsspitzen von Union und SPD sollen sich gemäß einer Pressemeldung vom 23.1.2007 darauf geeinigt haben, nach Möglichkeit noch vor der Sommerpause ein Gesetz zu verabschieden.

Zur Diskussion stehen derzeit offenbar vier mehr oder weniger konkret ausgearbeitete Vorschläge:

-Antrag der FDP vom 18.1.2006[2],

- Diskussionsgrundlage für einen Gruppenantrag unter Federführung des MdB Joachim Stünker (SPD) (Stand: 19.4.2005)

- Diskussionsgrundlage für einen Gruppenantrag unter Federführung des MdB René Röspel (SPD) (ohne Datum)

- Vorschläge unter Federführung des MdB Wolfgang Bosbach (noch kein ausgearbeiteter Gesetzesvorschlag verfügbar).[3]

 

IV. Die wesentlichen Streitpunkte

Die verschiedenen Vorschläge unterscheiden sich vor allem in folgenden Punkten:

- Ob die in einer Patientenverfügung enthaltenen Entscheidungen, die gegen Lebensverlängerung gerichtet sind, nur bei irreversibel tödlichen Erkrankungen verbindlich sind[4],

- ob die in einer Patientenverfügung enthaltenen Entscheidungen, die gegen Lebensverlängerung gerichtet sind, nur für die akute Sterbephase verbindlich sind,

- ob die Patientenverfügung schriftlich niedergelegt sein muss[5],

- ob eine ärztliche oder sonstige fachkundige Aufklärung / Beratung Wirksamkeitsvoraussetzung einer Patientenverfügung ist,

- ob eine periodische Aktualisierung der Patientenverfügung Wirksamkeitsvoraussetzung ist,

- ob vor Verwirklichung der in einer Patientenverfügung enthaltenen Entscheidungen, die gegen Lebensverlängerung gerichtet sind, die Beratung durch ein interdisziplinäres ethisches Konsil erforderlich ist,

-in welchen Fällen zur Verwirklichung der in einer Patientenverfügung enthaltenen Entscheidungen eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist,

- in welchen Fällen das Vorliegen einer Patientenverfügung die Bestellung eines Betreuers entbehrlich macht.

 

V. Rechtsdogmatische Grundlagen

1. Ausgangspunkt jeder Erörterung um die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen muss das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper sein. Dieses Recht gehört zum Kernbereich der Würde und Freiheit des Menschen. Es ist verfassungsrechtlich im Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), im allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und nicht zuletzt in der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) verankert.

 

2. Aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt allerdings lediglich ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die eigene körperliche Sphäre, jedoch kein Anspruch auf aktive Handlungen anderer. Deshalb kann eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme vom behandelnden Arzt verweigert werden. Auch kann sich der Arzt auf seine Gewissensfreiheit berufen. Er kann deshalb z. B. aktive Handlungen zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen ablehnen.

 

3. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gilt für Gesunde und Kranke gleichermaßen. Jeder selbstbestimmungsfähige Mensch hat das Recht, eine medizinische Behandlung selbst dann zu verweigern, wenn die Verweigerung aus der Sicht anderer noch so unvernünftig bzw. unmittelbar lebensbedrohlich ist. Auch auf die Frage, ob die Situation für den Patienten ?hoffnungslos? ist, ob ein ?irreversibel tödlicher Krankheitsverlauf? gegeben ist oder ob der Patient unter ?qualvollen Schmerzen? leidet, kommt es nicht an. Damit steht das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper, das es ihm erlaubt, einem natürlichen Geschehensablauf bis ggf. zum Tod seinen Lauf zu lassen, über einer wie auch immer gearteten Schutzpflicht anderer für seinen Körper und letztlich auch sein Leben.

 

4. Selbstbestimmung bedeutet zugleich Selbstverantwortung. Selbstverantwortung setzt näher zu bestimmende Fähigkeiten, und zwar insbesondere die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Willensbildung voraus. Selbstverantwortung kann auch zu einer schwer tragbaren Bürde werden. Dies gilt insbesondere für Schwerkranke und Sterbende. Das Prinzip der Selbstbestimmung bedarf deshalb sowohl der unterstützenden Absicherung als auch der Ergänzung durch das Prinzip der Solidarität. Diese Solidarität wird sowohl von der Rechtsordnung als auch von der Gesellschaft und vom einzelnen Mitmenschen (insbesondere im sozialen Umfeld des Hilfsbedürftigen) geschuldet. Allerdings können Selbstbestimmung und Solidarität im konkreten Fall in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Eigenverantwortlich ausgeübte Selbstbestimmung muss dann letztlich den Vorrang haben.

 

5. Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper bedürfen die medizinische Behandlung und damit auch die Weiterbehandlung einer legitimierenden Einwilligung des Patienten. Ausgehend davon stellt sich entgegen gängiger Fragestellung grundsätzlich nicht die Frage nach der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs, sondern diejenige nach der Zulässigkeit einer Weiterbehandlung. Dies gilt auch dann, wenn die Behandlung der Lebensverlängerung, der Lebenserhaltung oder der palliativmedizinischen Versorgung dient.

 

6. Garanten- oder sonstige Hilfeleistungspflichten (etwa gemäß § 323c StGB) dürfen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht unterminieren. Sie finden ebenso wie die vertraglichen Rechte und Pflichten des Arztes ihre Grenze am Selbstbestimmungsrecht des Patienten: Nur wenn zusätzlich eine (tatsächliche oder mutmaßliche) Einwilligung des Betroffenen bzw. die Einwilligung eines Vertreters gegeben ist, ist die Frage zu beantworten, ob der Arzt von seinem aufgrund der Einwilligung gegebenen Behandlungsrecht (als Recht zum Eingriff in den Körper des Patienten) Gebrauch machen muss, er nämlich aus dem Behandlungsvertrag oder aus sonstigem Grund eine zumutbare Pflicht zum Handeln hat.

 

7. Jede Rechtsordnung stellt bestimmte Voraussetzungen auf, von denen die rechtliche Anerkennung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts abhängt. Hierzu gehört insbesondere die Fähigkeit zur Eigenverantwortung, nämlich die so genannte Einsichts-, Einwilligungs- oder Selbstbestimmungsfähigkeit. Im Hinblick auf medizinische Maßnahmen bestimmt sich die Selbstbestimmungsfähigkeit im deutschen Recht nicht nach den Regeln der Geschäftsfähigkeit, wonach es u. a. auf feste Altergrenzen ankommt, sondern nach der Fähigkeit eines Menschen, Wesen, Bedeutung und Tragweite der Maßnahme jedenfalls in groben Zügen zu erfassen, das Für und Wider der Maßnahme abzuwägen und sich nach der gewonnenen Einsicht entscheiden zu können. Vor diesem Hintergrund sind Erklärungen, die eine Einwilligung in eine medizinische Maßnahme, einen Widerruf der Einwilligung oder eine Ablehnung einer medizinischen Behandlung beinhalten, nur wirksam, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt seiner Erklärung im Rechtssinne selbstbestimmungsfähig ist.

 

8. Allerdings enthält die Rechtsordnung keine allgemeingültigen Parameter zur Beantwortung der Frage, wann ein Mensch ausreichend fähig ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer bestimmten Maßnahme zu erfassen, ihr Für und Wider abzuwägen und sich nach der gewonnenen Einsicht zu entscheiden. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, an die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung andere Maßstäbe der Selbstbestimmungsfähigkeit anzulegen als an die Ablehnung der Behandlung[6].

 

9. Die Einwilligung des Patienten in eine Behandlung ist nach allgemeinen medizinrechtlichen Grundsätzen nur dann wirksam, wenn ihr eine hinreichende ? vom Arzt ggf. zu beweisende ? Aufklärung seitens des Arztes vorangegangen ist. Dies gilt zwar nicht für die Ablehnung einer Behandlung durch den Patienten; jedoch ist der Arzt auch insoweit aus vielfältigen Gründen verpflichtet, den Patienten deutlich auf eine mögliche Selbstschädigung aufmerksam zu machen.

 

10. Eine nicht aufschiebbare medizinisch indizierte Maßnahme kann bei einem nicht Selbstbestimmungsfähigen, für den nicht rechtzeitig ein Vertreter handeln kann, durch eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein. Aufgrund der vom Betroffenen früher geäußerten Vorstellungen, Einstellungen und Wünsche ist zu untersuchen, ob er, wenn er jetzt gefragt werden könnte, vermutlich seine Einwilligung zu der fraglichen Maßnahme geben würde. Zwar besteht wegen der unsicheren Entscheidungsgrundlage der mutmaßlichen Einwilligung die Gefahr, dass mit ihrer Hilfe letztlich jene Entscheidung legitimiert wird, die der Handelnde durchzuführen wünscht. Jedoch bedeutet eine rein objektive Interessenabwägung reine Fremdbestimmung ? und kann man umgekehrt demjenigen, der nicht rechtzeitig eine eigene Entscheidung getroffen hat oder treffen konnte, eine notwendige medizinische Hilfe nicht allein deshalb verweigern, weil er keine wirksame Einwilligung dazu erteilt hat. Dies gilt insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen. Daraus folgt der Grundsatz ?in dubio pro vita?, der die medizinische Indikation beeinflusst und auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten nicht außer Acht gelassen werden darf. Allerdings findet der Lebensschutz auch hier seine Grenze am Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Sofern hinreichend deutliche Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen gegeben sind, darf ihm Hilfe nicht aufgezwungen werden.

 

11. Bei der Abgrenzung des ?tatsächlichen Willens? vom ?mutmaßlichen Willen? ist entscheidend, ob der Betroffene für eine bestimmte Situation (trotz ggf. unsicherer Entscheidungsgrundlage) mit Rechtsbindungswillen eine ?Entscheidung? getroffen hat, oder ob er lediglich mehr oder weniger vage Vorstellungen, Wünsche, Einstellungen zu erkennen gegeben hat, die auf die vom Betroffenen nicht konkret vorhergesehene oder ?gedachte Situation projiziert und extrapoliert werden müssen. Daraus resultiert für die Praxis vor allem ein Auslegungsproblem.

 

12. Ganz allgemein können menschliche Willensäußerungen mehr oder weniger konkret sein. Bei ihrer Auslegung muss versucht werden, den wirklichen Willen zu erfassen. Dies rechtfertigt allerdings keine bloßen Spekulationen und keine Kontrolle am Vernünftigkeitsmaßstab anderer. Dies gilt auch, wenn sich die Willensäußerung auf zukünftige Situationen bezieht. Und es gilt auch dann, wenn sich die Willensäußerung auf noch nicht konkret absehbare zukünftige Situationen bezieht, sich der Erklärende aber einer damit verbundenen unsicheren Entscheidungsgrundlage erkennbar bewusst war und gleichwohl eine eigene Entscheidung getroffen hat.

 

13. Erklärungen können auch bloße Richtungsvorgaben für die Entscheidungen anderer enthalten. Der Erklärende kann sich auch auf die Festlegung einzelner Entscheidungskriterien beschränken (z. B. Erreichung oder Verhinderung bestimmter Zustände, Durchführung oder Unterlassung bestimmter Maßnahmen). Insgesamt reicht die Bindung einer Entscheidung nur so weit, wie der Betroffene selbst dies erkennbar gewollt hat.

 

14. Angesichts der Vielfältigkeit menschlicher Erklärungen wird es immer Fälle geben, in denen der Wille des Erklärenden nicht hinreichend sicher zu ermitteln ist. Dabei handelt es sich um ein allgemeines ethisches und rechtliches Problem. Ihm kommt wegen der Tragweite existenzieller Entscheidungen zwischen Leben und Tod hier allerdings eine besondere Bedeutung zu. Es ist dann nach bestem Wissen und Gewissen entsprechend dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu verfahren. Sofern selbst dafür keinerlei Anhaltspunkte bestehen, sollte dem Lebenserhalt der Vorrang gebühren.

 

VI. Patientenverfügungen als Instrument der Selbstbestimmung

1. Das Recht zur Selbstbestimmung ist auch in Form antezipativer, zukunftswirksamer Festlegungen in Gestalt von Patientenverfügungen anzuerkennen. Der Betroffene kann mit einer solchen Verfügung festlegen, welche Adressaten (z. B. Ärzte, Pflegepersonen, Angehörige, gesetzliche Vertreter, Bevollmächtigte) durch sie in welchem Ausmaß gebunden werden sollen.

 

2. Im politischen Raum besteht zu Recht weitgehender Konsens, dass die Patientenverfügung zur Stärkung der Patientenautonomie und zur Verringerung rechtlicher Unsicherheit gesetzlich geregelt werden sollte.[7]

 

3. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass das Ausmaß der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und damit auch das Ausmaß der zu erzielenden Rechtssicherheit zuvörderst ein Auslegungsproblem ist: Die Verbindlichkeit kann nur so weit reichen, wie sie der Betroffene selbst gewollt hat ? aber sie sollte auch so weit reichen, wie sie der Betroffene gewollt hat. Dieses Auslegungsproblem kann der Gesetzgeber nicht lösen[8]. Der Gesetzgeber kann ebenso wenig allgemein vorgeben, welche (spätere) Erklärung als Widerruf auszulegen ist. Auch Formvorschriften lösen diese Auslegungsprobleme nur sehr begrenzt.

Der Gesetzgeber kann und sollte allerdings eine Vermutungsregel aufstellen, wonach im Zweifel das, was in einer (bestimmte Anforderungen erfüllenden, dazu VII. 4. und 5.) Patientenverfügung niedergelegt ist, (noch) dem tatsächlichen Willen des Patienten entspricht. Die Beweislast für einen vom Wortlaut abweichenden Inhalt sollte danach bei demjenigen liegen, der vom Wortlaut der Erklärung abweichen möchte. Im Zweifel sollte danach zudem ein korrigierender Rückgriff auf den unsicheren ?mutmaßlichen Willen? versperrt sein.

 

4. a) Soweit mit Hilfe der Patientenverfügung eine Einwilligung in eine medizinische Maßnahme erteilt wird, kann diese gemäß den allgemeinen Anforderungen an eine Einwilligung des Patienten nur wirksam sein, wenn sich die Einwilligung auf eine hinreichend konkret beschriebene Maßnahme in einer hinreichend konkret beschriebenen Situation der Behandlungsnotwendigkeit bezieht und der Einwilligung eine hinreichende Aufklärung von Seiten eines Arztes vorangegangen ist. Sofern diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, bleibt die Erklärung Hilfsmittel bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens.[9]

 

b) Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Ablehnung einer medizinischen Behandlung in ihrer Wirksamkeit nicht von einer vorangehenden ärztlichen Aufklärung abhängig. Allerdings sollte der Gesetzgeber die Verbindlichkeit einer Entscheidung des Betroffenen, die gegen lebenserhaltende Maßnahmen gerichtet ist, aus folgenden Gründen dennoch von einer fachkundigen (vor allem ärztlichen) Beratung abhängig machen:[10]

Ein wesentliches Problem der Patientenverfügung besteht darin, dass der Arzt in einer Art und Weise an eine ggf. formularförmige Erklärung gebunden sein soll, wie es zentralen Prinzipien des Arzt-Patienten-Verhältnisses, die dem Schutz des Patienten dienen, widerspricht:

 

- Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Arzt den Patienten im persön­­lichen Gespräch über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklä­ren. Die Aufklärung soll die freie, selbstverantwortliche Entscheidung des Patienten ermöglichen, ihn also in die Lage versetzen, das Für und Wider seiner Entscheidung abzuwägen und auf dieser Basis eine informiert-eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Jene Patienten, die eine medizinisch indizierte Maßnahme ab­lehnen, sind eindringlich auf die Notwendigkeit der Behandlung sowie auf die Gefahren einer Nichtbehandlung aufmerksam zu machen. Demgegenüber soll der Arzt bei Vorliegen einer Patientenverfügung einer Erklärung eines Patienten folgen, den er u.U. nicht kennt, den er nicht über die konkret gegebenen Handlungsopxionen mit ihren Vor- und Nachteilen informiert hat und bei dem er von daher nicht wissen kann, auf welcher Informationsgrundlage und aufgrund welcher (möglicherweise übersteigerten) Sorgen und Ängste der Betroffene seine Entscheidung getroffen hat.

 

- Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Arzt im Rahmen des Aufklärungsgesprächs auch die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen, auch Anzeichen für äußeren Druck (in Form familiärer oder sonstiger Fremdbestimmungsversuche) nachzugehen. Demgegenüber soll er nun einer Erklärung folgen, bei der die äußeren Umstände des Zustandekommens und die Einwilligungsfähigkeit des Betreffenden zum Zeitpunkt der Erklärung völlig unbekannt sind.

 

- Zwar ist ein Aufklärungsverzicht eines Patienten unstreitig möglich, allerdings richtigerweise nicht in Form einer formularförmigen Erklärung, aus der nicht deutlich erkennbar ist, dass der Patient weiß, worauf er konkret verzichtet.

 

- Bedenken gegenüber der um sich greifenden ?Formularpraxis? beste­hen vor allem auch deshalb, weil es als mehr oder weniger zufällig er­scheint, welches der sehr unterschiedlich gestalteten und formulierten, ganz unterschiedliche Situationen ansprechenden und i.d.R. (je­denfalls von der ?Aufmachung? her) noch nicht einmal eine selektive Entscheidung ermöglichenden Formulare der Betroffene konkret verwen­det hat, ohne dass erkennbar würde, ob es ihm wirklich auf den In­halt des tatsächlich verwendeten Formulars im Unterschied zu anderen ankam.

 

- Gerade wenn man davon ausgeht, dass zukünftiges eigenes Leiden kaum antezipierbar ist, dann ist es um so wichtiger, von einer Person, die kraft ihrer Profession tagtäglich mit entsprechendem Leiden umzugehen hat, zumindest auf der Verstandesebene vermittelt zu bekommen, wie andere Personen sich in der entsprechenden Situation fühlen bzw. wie sie sich dazu äußern. Diese Vermittlung von ?Leiderfahrung? kann nur von einem Arzt oder einer anderen mit entsprechenden Situationen vertrauten Person (nicht aber etwa von einem Notar) wahrgenommen werden.

 

Angesichts dieser Gesichtspunkte dürfte es de lege ferenda angezeigt sein, eine behandlungs­ablehnen­de Patientenverfügung in Anlehnung an die Wertung des § 1904 BGB[11] dann (aber auch nur dann), wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene bei ihrer Befolgung stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet, nur unter der Voraussetzung als verbindlich anzusehen, dass ein Arzt in der Verfügung bestätigt hat, den Betroffenen über Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung aufgeklärt zu haben. Im Rahmen der gebotenen Aufklärung kann und muss der Arzt dafür sorgen, dass hinreichend konkret und differenziert auf die unterschiedlichen Situationen am Ende des Lebens eingegangen wird und der Patient wirklich eigen­verantwortlich entscheiden kann, welche der verschiedenen Handlungsopxionen bezogen auf welche Situation seinem Willen entspricht. Im Rahmen der Auf­klärung kann und muss der Arzt dem Patienten zudem verdeutlichen, dass z.B. die Prognose hinsichtlich der ?Irreversibilität? mehr oder weniger unsicher sein kann, ?Wun­der? nicht auszuschließen sind und der Patient mit einer ver­bind­lichen Behandlungsabbruchentscheidung in bestimmtem (in den gängigen Patientenverfügungsformularen unterschiedlich konkretisier­tem) Umfang das Risiko unsicherer Prognose selbst übernimmt.

 

5. Einwilligung und Behandlungsablehnung wie auch der entsprechende Widerruf bedürfen nach allgemeinen Grundsätzen keiner Form. Auch kann eine schriftliche Erklärung durchaus in mündlicher Form widerrufen werden, sofern dies nicht durch Gesetz oder Vertrag ausgeschlossen ist.

 

Allerdings können mündliche Erklärungen zu besonders gravierenden Auslegungsproblemen führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die mündliche Erklärung von anderen Personen übermittelt wird und/oder zwischen der Erklärung und der Situation, in der es auf die Erklärung ankommt, eine längere Zeit verstrichen ist. Mündliche Erklärungen sind zudem anfällig für bewusste und unbewusste Falschwiedergabe. Von daher können schriftliche Erklärungen zu größerer Rechtssicherheit führen. Deshalb sollten nur schriftliche oder sonst rechtssicher (z.B. durch Videoaufnahmen) dokumentierte Patientenverfügungen vom Gesetzgeber für verbindlich erklärt werden. Andere Äußerungen des Betroffenen bleiben bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens maßgeblich.

 

6. Von Verfassung wegen kann die Patientenautonomie nicht auf bestimmte Arten oder Stadien der Erkrankung beschränkt werden. Deshalb kann eine Patientenverfügung in ihrer Wirkung nicht von vornherein auf die letale Phase oder einen irreversibel tödlichen Krankheitsverlauf beschränkt werden[12], so dass z. B. auch Behandlungsmaßnahmen während Demenz und Wachkoma Gegenstand einer bindenden Patientenverfügung sein können. Die gegenteilige Auffassung[13] führt dazu, dass der Patient u.U. gegen seinen Willen zwangsbehandelt wird.

 

Dem wird zwar entgegengehalten, dass derartige Situationen nicht vorweggenommen werden können. Auch wird argumentiert, dass sich der spätere Kranke von dem früher Gesunden in seinem Willen und Wollen und damit in seiner so verstandenen Identität unterscheide, so dass mit einer Patientenverfügung im Grunde Fremdbestimmung ausgeübt werde.

Dennoch rechtfertigen diese Argumente nicht, Vorausverfügungen für derartige Situationen generell dem Bereich rechtswirksam ausgeübter Selbstbestimmung zu entziehen. Entscheidungen unter Unsicherheit mit durchaus weit reichenden Folgen werden von der Rechtsordnung auch in anderen Bereichen nicht nur toleriert, sondern vielfach vorausgesetzt. Und selbst wenn man eine Patientenvorausverfügung für die angesprochenen Konstellationen nicht als hinreichenden Ausdruck fortwirkender Selbstbestimmung ansähe, verböte es sich, sie ohne weiteres durch die u. U. von anderen Maßstäben geleitete Entscheidung eines Dritten zu ersetzen. ?Fremdbestimmung? über den ?eigenen? Körper ist immer noch besser als Fremdbestimmung über einen fremden Körper. Deshalb sollte der Gesetzgeber die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen nicht auf bestimmte Krankheitssituationen beschränken.[14]

 

7. Willensänderungen des Betroffenen müssen bezogen auf seine früher erklärte Behandlungsablehnung ebenso möglich und rechtserheblich sein wie bezogen auf seine früher erklärte Einwilligung in eine Behandlung (Widerruf). Auch der Widerruf einer Behandlungsablehnung darf aber nicht auf bloße Mutmaßungen gestützt werden. Deshalb sollte gesetzlich festgelegt werden, dass nur konkrete Anhaltspunkte für eine der Patientenverfügung nachfolgende Willensänderung dazu führen dürfen, dass der Patientenverfügung nicht gefolgt werden muss (s. schon VII. 3.).

 

Fraglich ist allerdings, welche Anforderungen an einen wirksamen Widerruf zu stellen sind.

 

Selbstverständlich ist, dass jeder Selbstbestimmungsfähige eine eigene frühere Erklärung zur medizinischen Behandlung oder zum Unterlassen einer Behandlung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. Dabei bedeutet Widerruf nicht, dass sich der ?Widerrufende? der früheren Erklärung bewusst sein muss. Als Widerruf in diesem Sinne ist vielmehr jede Entscheidung anzusehen, die einen anderen Inhalt als die frühere Erklärung hat.

 

Problematisch ist allerdings, ob dies auch für einen nicht mehr Selbstbestimmungsfähigen gilt. So stellt sich z. B. die Frage, ob ein Demenzkranker, der in seinem jetzigen Zustand Anzeichen für Lebensfreude zeigt, damit rechtswirksam eine frühere Erklärung widerruft, mit der er die Verlängerung seines Lebens in dementem Zustand verhindern wollte.

 

a) Offenbar besteht ein verbreitetes Bedürfnis, Äußerungen eines nach allgemeinen Grundsätzen nicht selbstbestimmungsfähigen Betroffenen vor allem dann zu respektieren, wenn sie im Ergebnis auf Lebenserhaltung gerichtet sind oder jedenfalls in diesem Sinne interpretiert werden können. Umgekehrt bestehen erkennbare Vorbehalte, Äußerungen eines nach allgemeinen Grundsätzen nicht selbstbestimmungsfähigen Betroffenen auch dann zu befolgen, wenn damit eine medizinisch indizierte Maßnahme unterlassen oder abgebrochen wird. Plakativ formuliert: Der Sterbewunsch eines Einwilligungsunfähigen soll unbeachtlich, der Lebenswunsch eines Einwilligungsunfähigen dagegen beachtlich sein. Im Hintergrund dürfte zum einen der Grundsatz ?in dubio pro vita? stehen, zum anderen aber die Überlegung, dass eine medizinisch indizierte Maßnahme im Zweifel dem Interesse des Patienten entspricht. Allerdings besteht dann zugleich die Gefahr, dass das dem Individuum zukommende Selbstbestimmungsrecht, das auch ein Recht zur Unvernunft beinhaltet, unterlaufen wird. Dieses Selbstbestimmungsrecht umfasst auch das Recht, in selbstbestimmungsfähigem Zustand eine Entscheidung gerade für den Fall der zukünftigen eigenen Selbstbestimmungsunfähigkeit zu treffen und dabei anderen vorzugeben, spätere z. B. nonverbale Reaktionen und Äußerungen etwa des Wohlbefindens wie Lächeln nicht als Widerruf einer früheren Erklärung zu interpretieren.

 

Eine so weit reichende Selbst- und Fremdbindung hängt allerdings davon ab, dass sie in der Patientenverfügung klar zum Ausdruck kommt. Der Betroffene muss deutlich gemacht haben, für welche Behandlungssituationen und -maßnahmen zur Erreichung oder Verhinderung welchen Zustandes unter welchen Voraussetzungen er eine bindende Entscheidung treffen wollte. Die Patientenverfügung kann nur so verbindlich sein, wie es der Betroffene erkennbar gewollt hat. Besondere Bedeutung bei der Auslegung und damit Verbindlichkeit erlangt der Umstand, ob sich der Betroffene ihrer Tragweite auch unter dem Gesichtspunkt von Unsicherheiten bewusst gewesen ist. Gerade deshalb sollte eine Patientenverfügung, die gegen Lebenserhalt gerichtet ist, nur dann verbindlich sein, wenn ihrer Erstellung eine fachkundige Beratung vorangegangen ist (oben VII. 4. b]).

 

Insgesamt ist deshalb aus dem Blickwinkel eines möglichen Widerrufs zunächst durch Auslegung zu ermitteln, mit welcher Reichweite und Bindungskraft, für welche Situationen sowie unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen der Betroffene seinerzeit im Zustand der Selbstbestimmungsfähigkeit eine eigene Entscheidung getroffen hat.

 

b) Für die Frage des Widerrufs bleibt also nur jene Situation übrig, in der der Patient eine hinreichend klare Entscheidung getroffen hat, sich aber die Frage stellt, ob er diese Erklärung nicht doch später in nicht selbstbestimmungsfähigem Zustand wirksam widerrufen hat. Zwar wird mitunter die Auffassung vertreten, dass es zur Willensfreiheit des Menschen gehöre, auch in nicht selbstbestimmungsfähigem Zustand eine Willenserklärung zu widerrufen, die in selbstbestimmungsfähigem Zustand abgegeben wurde. Jedoch ist es nicht begründbar, die rechtliche Wirksamkeit von Äußerungen eines Menschen von seiner Selbstbestimmungsfähigkeit abhängig zu machen, zugleich aber auch Äußerungen eines nicht Selbstbestimmungsfähigen gleichermaßen für rechtlich erheblich zu erklären. Zwar ist es, wie bereits unter VI. 5. dargestellt, nicht ausgeschlossen, die Maßstäbe hinsichtlich der Selbstbestimmungsfähigkeit unterschiedlich hoch anzusetzen je nachdem, um was für eine Maßnahme es geht. Für die Wirksamkeit einer Erklärung ist jedoch ein Mindestmaß an Selbstbestimmungsfähigkeit zu verlangen. Dies muss auch für den wirksamen Widerruf einer Behandlungsablehnung gelten.[15] Bei einem Wachkomapatienten oder schwer Demenzkranken kann von dieser Selbstbestimmungsfähigkeit nicht ausgegangen werden. Von Rechts wegen können derartige Betroffene deshalb eine eigene frühere als bindend gewollte Entscheidung nicht revidieren.

 

Dieser Umstand nötigt allerdings dazu, ihre frühere Erklärung besonders sorgfältig darauf zu prüfen, ob wirklich eine derart starke Selbstbindung gewollt war. Und noch einmal sei in diesem Zusammenhang auf das Erfordernis einer vorherigen fachkundigen Beratung hingewiesen.

 

8. Es ist nicht abwegig, in einem zukünftigen Patientenverfügungsgesetz vorzusehen, dass eine Patientenverfügung innerhalb bestimmter Zeiträume erneuert werden muss, damit sie ihre Verbindlichkeit nicht verliert.[16] Damit kann ein wenig mehr Sicherheit in der Frage erreicht werden, ob die getroffene Verfügung noch dem Willen des Betroffenen entspricht. Allerdings widerspricht dies grundsätzlichen Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre, wonach eine Willenserklärung nicht durch Zeitablauf ihre Wirkung verliert (sofern der Betroffene dies nicht doch gewollt und zum Ausdruck gebracht hat). Und es muss jedenfalls vorgesehen werden, dass die Frist während jener Zeiten gehemmt ist, in denen der Betroffene nicht zu einer Willensänderung in der Lage ist.[17]

 

9. a) Der Bestellung eines Betreuers bedarf es nach dem u. a. in § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB verankerten Prinzip der Subsidiarität der Betreuung grundsätzlich nicht, wenn der Betroffene für die fragliche Situation hinreichend deutlich eine eigene wirksame Entscheidung getroffen hat (dann ist ohnehin sein Wille maßgeblich und nicht der einer anderen Person)[18] oder wenn er einen Vertreter bestellt hat und dieser für ihn entscheiden kann. Dies gilt für die Einwilligung in eine medizinische Behandlung ebenso wie für ihre Ablehnung.

 

b) Eine Vollmacht sollte aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der mit ihr verliehenen Rechtsmacht der Schriftform bedürfen[19], sofern sie Entscheidungen umfassen soll, deren Umsetzung den Betroffenen in die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens bringt. Dies und die Forderung, dass die Vollmacht die vorgenannten Entscheidungen ausdrücklich umfassen muss, entspricht bezogen auf der Behandlung zustimmende Entscheidungen des Bevollmächtigten der geltenden Rechtslage in § 1904 Abs. 2 BGB. Streitig ist dagegen nach wie vor, ob dies auch für behandlungsablehnende Entscheidungen des Bevollmächtigten gilt. Hier sollte der Gesetzgeber für Klarheit sorgen.

 

c) Ein Vertreter des Patienten (Bevollmächtigter, gesetzlicher Vertreter[20]) hat den in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen des Patienten umzusetzen[21], soweit dieser Wille reicht und soweit dies im Rahmen der objektiven Rechtsordnung zulässig ist.

 

d) Die Umsetzung des Patientenwillens sollte nicht zwingend von einer Beratung durch Dritte (etwa eines Ethikkonsils) abhängig sein[22], weil dies dem Willen des Betroffenen zuwiderlaufen kann. Außerdem geht es um die Auslegung von individuellen Willenserklärungen. Inwiefern dabei ein interdisziplinäres Gremium hilfreich sein kann, bleibt fraglich.

 

e) Das Vormundschaftsgericht hat (wie auch in anderen familienrechtlichen Situationen) die Entscheidung des Vertreters auf Missbrauch zu überwachen. Art und Ausmaß der Überwachung sollten allerdings von der Art der Vertretung abhängen:

 

aa) Sofern der Betroffene im Wege einer Bevollmächtigung eine Person seines Vertrauens bestellt hat, kann im Zweifel davon ausgegangen werden, dass diese Person dem in sie gesetzten Vertrauen gerecht wird und entsprechend den Wünschen des Betroffenen handelt. Der Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts bedarf es deshalb nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Missachtung des Willens des Betroffenen vorliegen.

 

bb) Ein gesetzlicher Vertreter sollte einer stärkeren Aufsicht durch das Vormundschaftsgericht unterworfen sein, weil er nicht vom Betroffenen selbst mit Rechtsmacht ausgestattet wurde. Jedenfalls in Fällen, in denen zwischen gesetzlichem Vertreter und den in die Behandlung einbezogenen Personen kein Einvernehmen darüber besteht, dass die fragliche Maßnahme (medizinische Behandlung oder deren Unterlassung/Abbruch) dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, sollte der gesetzliche Vertreter für aufschiebbare Entscheidungen einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen, sofern die Umsetzung der Entscheidung den Betroffenen in die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens bringt.[23]

 

VII. Schlussbemerkung

Der unausweichlich gegebene Spagat zwischen (Recht zur) Selbstbestimmung (mit der Gefahr der Selbstschädigung) einerseits und Schutz und Fürsorge für den Betroffenen (mit der Gefahr der Fremdbestimmung) andererseits stellt das Kernproblem der Diskussion um die Patientenautonomie am Ende des Lebens dar. Hinzu tritt der Spagat zwischen einer abstrakt-generellen (gesetzgeberischen) Regel einerseits und dem Bedürfnis nach Berücksichtigung individueller (ggf. veränderter und sich verändernder) Verhältnisse andererseits. Die abstrakt-generelle Regel beruht auf den Gedanken der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit, Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit und versetzt die Menschen überhaupx erst in die Lage, hinreichend sicher selbstbestimmt Vorsorge (auch in medizinischen Angelegenheiten) zu treffen. Ein Großteil der Unsicherheit, die zur Zeit im Hinblick auf antezipative Erklärungen in Gesundheitsangelegenheiten herrscht, besteht nicht zuletzt darin, dass die Menschen überhaupx nicht wissen, was sie im Vorfeld einer medizinischen Maßnahme verfügen können, ob sich die Ärzte später daran halten müssen bzw. unter welchen Umständen diese davon abweichen dürfen. Hier ist zweifellos mehr Rechtssicherheit vonnöten. Zugleich besteht aber das Problem darin, dass Raum genug bleiben muss, um (sich ggf. verändernden) individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, dass vielleicht nicht mehr äußerbare Willensänderungen des Betroffenen in Frage stehen und dass auch damit wieder Schutz und Fürsorge, möglicherweise sogar entgegen früherer Eigenvorsorge des Betroffenen, ein erhebliches Problem darstellen.

 

Einigkeit sollte darin bestehen, dass die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Patientenverfügung um so strenger sein sollten, je verbindlicher die Verfügung letztlich ist. Während die Anforderungen relativ gering sein können, wenn die Verfügung lediglich als (wenn auch vielleicht bedeutsamer) Anhaltspunkt bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens genommen wird, sollten die Anforderungen höher sein, wenn die Verfügung im konkreten Fall ? dem erkennbaren Willen des Betroffenen zum Zeitpunkt ihrer Errichtung folgend ? strikt umzusetzen ist.[24]

 

[1] BT-Drucks. 15/3700.

 

[2] BT-Drucks. 16/397.

 

[3] wobo.de/wobo/home/politische-arbeit.

 

[4] So der Gruppenantrag von Röspel und der Vorschlag von Bosbach.

 

[5] So die Mehrheitsbeschlüsse des 63. Deutschen Juristentages 2000 und des 66. Deutschen Juristentages 2006.

 

[6] Z. B. kann die Einwilligung in eine Organspende nach dem Tode des Spenders gemäß § 2 II TPG bereits vom vollendeten 16. Lebensjahr an, der Widerspruch aber bereits vom vollendeten 14. Lebensjahr an erklärt werden. In ähnlicher Weise kann nach § 5 S. 2 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung das religiöse Bekenntnis eines Kindes ab dem 12. Lebensjahr nicht gegen den Willen des Kindes geändert werden, obwohl das Kind erst mit 14 Jahren die uneingeschränkte ?positive? Bekenntnisfähigkeit erlangt. Nach § 1905 I Nr. 1 BGB kann auch der nicht einwilligungsfähige Betreute eine Sterilisation verweigern; hierfür genügt jede Art von Ablehnung oder Gegenwehr. Gleichartig sieht das (von Deutschland allerdings bisher nicht unterzeichnete) Menschenrechtsübereinkommen zur Bio­medizin des Europarates vor, dass auch eine nicht einwilligungsfähige Person Eingriffe zu Forschungszwecken ablehnen kann (Art. 17 I lit. v).

 

[7] Siehe auch die Mehrheitsbeschlüsse des 63. Deutschen Juristentages 2000 und des 66. Deutsche Juristentages 2006.

 

[8] Wenn er nicht eine Regelung wie in Dänemark wählt, wonach verbindlich nur eine Entscheidung mit einem von vornherein festgelegten Inhalt (Wortlaut) ist, s. Ulla Hybel, Country Report Denmark, in: Jochen Taupitz (Hrsg.), Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens, Berlin, Heidelberg u. a. 2000, Rdnr. DK 56 ff.; die Patientenverfügung ist in Dänemark zudem in einem Register zu hinterlegen.

 

[9] Siehe auch §§ 8 und 9 des österr. Patientenverfügungsgesetzes (PatVG) (BGBl. I vom 8.5.2006) zu ?beachtlichen? imUnterschied zu ?verbindlichen? Patientenverfügungen (dazu noch unten Fn. 24).

 

[10] Nach § 5 öster. PatVG ist eine umfassende ärztliche Aufklärung, einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung, Voraussetzung einer verbindlichen (im Unterschied zu einer ?beachtlichen?) Patientenverfügung. Eine solche vorhergehende ärztliche Beratung wurde auf dem 63. Deutschen Juristentag 2000 und auf dem 66. Deutschen Juristentag 2006 mehrheitlich abgelehnt.

 

[11] Ein ?Genehmigungsvorbehalt?, wie ihn § 1904 BGB bezüglich der Entscheidung eines Betreuers oder Bevollmächtigten vorsieht, würde dagegen hinsichtlich der eigenen Entscheidung des einwilligungsfähigen Betroffenen eine nicht hinnehmbare Einschränkung seiner Autonomie beinhalten.

 

[12] Sogenannte ?Reichweitenbeschränkung?, die von Bosbach und Röspel angestrebt wird, vom 66. Deutschen Juristentag 2006 aber mehrheitlich abgelehnt wurde.

 

[13] Röspel und Bosbach, wobei letzterer bei langfristig stabilem Wachkoma eine Spezialregelung im Gesetz verankern will, nach der es bei Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung möglich sein soll, lebens­erhaltende Behandlungen abzubrechen, obwohl es sich bei Wachkoma (und Demenz) gerade nicht um solche Krankheiten handelt, die dem Bild einer ?Krankheit mit irreversibel tödlichem Verlauf? entsprechen: wobo.de/wobo/home/politische-arbeit.

 

[14] Wie dies etwa von Röspel und Bosbach gefordert wird (tödlich verlaufende Grunderkrankung bzw. irreversibler Verlauf).

 

[15] So ist nach dem Mehrheitsbeschluss des 63. Deutschen Juristentages 2000 für den Widerruf der Patientenverfügung die Einwilligungsfähigkeit erforderlich.

 

[16] Vgl. z.B. § 7 österr. PatVG: Frist von 5 Jahren. Auf dem 66. Deutschen Juristentag 2006 wurde eine solche Aktualisierungsnotwendigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung dagegen mehrheitlich abgelehnt.

 

[17] Vgl. auch § 7 österr. PatVG.

 

[18] Anders Röspel, der vorsieht, dass der Betreuer, trotz Bestehens eines eindeutigen eigenen Willens des Betroffenen, der in der Patientenverfügung niedergelegt ist, eine eigene Entscheidung zu treffen hat.

 

[19] So auch Mehrheitsbeschluss des 63. Deutschen Juristentages 2000.

 

[20] Betreuer oder z. B. auch gesetzlicher Vertreter nach §§ 1358, 1358a, 1618b BGB in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts vom 12. 2. 2004, BT-Drucksache 15/2494.

 

[21] So Stünker; nach Röspel trifft allerdings der Vertreter des Patienten stets eine eigene Entscheidung und setzt somit nicht nur den in der Patientenverfügung niedergelegten Willen um.

 

[22] So aber der Vorschlag von Bosbach.

 

[23] So auch der Antrag der FDP vom 18.1.2006 sowie die Vorschläge von Stünker und Bosbach; Röspel zufolge soll eine Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht stets erforderlich sein und nicht nur bei fehlendem Einvernehmen.

 

[24] §§ 4 - 9 österr. PatVG unterscheiden zwischen ?verbindlicher? Patientenverfügung, die schriftlich abgefasst sein muss und der eine ärztliche Aufklärung vorangegangen sein muss, und lediglich ?beachtlicher? Patientenverfügung, die diese Kriterien nicht erfüllt und deshalb auch nur bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens von Bedeutung ist.

Julia Fellmer
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